Entwicklung prognoserelevanter Parameter in Deutschland

Nachfolgend werden allgemein die relevanten Parameter von Bevölkerungsprognosen (also Bevölkerungsstand, Geburtenrate, Sterberate und Wanderungen) anhand der Entwicklung in Deutschland genauer beschrieben.

Bevölkerungsstand

Der Bevölkerungsstand kennzeichnet Zahl und Zusammensetzung einer Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Familienstand und anderen Merkmalen (z.B. Staatsbürgerschaft, Erwerbsstatus, ethnische Zugehörigkeit) an einem bestimmten Stichtag. Entscheidend für die Bevölkerungsentwicklung ist vor allem die Altersstruktur. Betrachtet man die Bevölkerungsstruktur Deutschlands Ende 2008 graphisch aufbereitet als so genannte Bevölkerungspyramide (vgl. Abbildung 1), so lassen sich hier historisch bedingte Einschnitte erkennen, die auch die weitere Bevölkerungsentwicklung bestimmen werden. In den älteren Jahrgängen schlagen sich die Verluste des Zweiten Weltkriegs in einem Frauenüberschuss und die Weltwirtschaftskrise der Dreißiger Jahre in einem leichten, aber immer noch sichtbaren Geburtenrückgang nieder. Ein zweites Mal zeigen sich die Folgen des Krieges in einem erneuten Geburtenrückgang bei den 1940er Jahrgängen. Dem Wiederaufbau folgte das Wirtschaftswunder, das die so genannte Babyboom-Generation hervorbrachte. Mit dem Wandel der Wertvorstellungen (Moderne) und der Verbreitung der Anti-Baby-Pille brachte die durch das erste Geburtentief reduzierte Elterngeneration Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger Jahre jedoch deutlich weniger Kinder zur Welt. Seither bekommen immer weniger Eltern immer weniger Kinder, weshalb sich die Bevölkerungspyramide mittlerweile einer Urnenform annähert.

Bevölkerungsstand in Deutschland

In den letzten 50 Jahren hat sich die Altersstruktur bereits stark zu Gunsten der höheren Altersklassen verschoben. Besonders deutlich wird die Entwicklung, wenn man die Jugend- bzw. Altenquotienten betrachtet (vgl. Tabelle 1), die jeweils das Verhältnis der unter 20-Jährigen bzw. der 60-Jährigen und Älteren zur Gruppe der Erwerbsfähigen (der 20- bis 59-Jährigen) angeben. Während der Jugendquotient seit dem Jahr 1955 von 0,55 auf 0,34 im Jahr 2008 gefallen ist, stieg der Altenquotient im gleichen Zeitraum von 29 Personen im Alter von 60 und mehr auf 46 zu 100 Erwerbsfähigen.

Bevölkerungsentwicklung in Deutschland

Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen

Auch die Betrachtung der Altersgruppenanteile zeigt die dramatischen Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur: Stellten im Jahr 1955 die Gruppe der unter 20-Jährigen noch rund 30 Prozent der Gesamtbevölkerung, hat dieser Wert im Jahr 2008 die 20-Prozentmarke unterschritten. Ganz anders verhält es sich bei den über 60-Jährigen – hier ist der Anteilswert an der Gesamtbevölkerung im Zeitraum 1955 bis 2008 von 16 auf 26 Prozent gestiegen. Die Verhältnisse zwischen Alt und Jung haben sich also umgekehrt.

Geburtenrate
In Deutschland bewegt sich die zusammengefasste Geburtenrate schon seit Ende der Sechziger Jahre zwischen Werten von 1,3 und 1,4 Kindern, die eine Frau durchschnittlich in ihrem Leben zur Welt bringt. Die Geburtenrate liegt damit deutlich unter dem so genannten Ersatzniveau. Dieses gibt an, wie viele Kinder pro Frau geboren werden müssten, um die Elterngeneration vollständig zu ersetzen und für eine stabile Bevölkerung zu sorgen. Um in Deutschland einen vollständigen Ersatz der Elterngeneration zu gewährleisten, müssten durchschnittlich ca. 2,1 Kinder pro Frau geboren werden, da durch die Geburten der Frau auch der andere Elternteil in der Generationenfolge ersetzt werden muss. Zudem sind dabei die Aspekte Kindersterblichkeit und Kinderlosigkeit zu berücksichtigen, die ebenfalls ausgeglichen werden müssen.
In Deutschland ist der Anteil von Familien mit drei oder mehr Kindern seit Jahren stark rückläufig, während der Anteil derer, die kinderlos bleiben, steigt. Nach Ergebnissen des Mikrozensus 2008 ist jede fünfte Frau im Alter zwischen 40 und 44 Jahren kinderlos, während unter den zehn Jahre älteren Frauen nur 16 Prozent und unter den zwanzig Jahre älteren (Jahrgänge 1944 bis 1948) nur zwölf Prozent keine Kinder haben. Insgesamt wird die Elterngeneration derzeit nur zu etwa zwei Dritteln ersetzt, was langfristig einen unvermeidlichen Bevölkerungsrückgang zur Folge haben wird, der auch durch massive Zuwanderung nicht mehr ausgeglichen werden kann.



Fertilitätskennziffern ausgewählter EU-Staaten

Als Gründe für den Geburtenrückgang werden in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion vor allem die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Selbstverwirklichungsstreben der Eltern sowie die hohen Kosten für Kinder, die Wahlmöglichkeiten in anderen sozialen und gesellschaftlichen Bereichen begrenzen, angeführt. Dementsprechend weisen Länder mit günstigeren Rahmenbedingungen auch höhere Geburtenzahlen auf, z.B. Dänemark und das Vereinigte Königreich mit einer Geburtenrate von 1,9. Norwegen und Frankreich liegen mit zwei Geburten je Frau sogar nahe am Ersatzniveau (vgl. Abbildung 2). Eine ähnlich positive Geburtenentwicklung lässt sich aber nicht durch kurzfristige Maßnahmen erzielen. Eine deutliche und nachhaltige Veränderung kann nur durch eine langfristige Verbesserung äußerer Einflussfaktoren erfolgen. Hier sind vor allem die zu steigernde Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch eine positive Wirtschaftsentwicklung zu nennen.

Sterberate
Die Entwicklung der Sterberate ist stark mit dem medizinischen und hygienischen Entwicklungsstand eines Landes verbunden. Mit der Eindämmung der Säuglingssterblichkeit in den 1960er Jahren erfuhr auch die Lebenserwartung einen großen Anstieg, da die Sterbewahrscheinlichkeit im jungen und mittleren Alter eingedämmt wurde. So betrug die Lebenserwartung bei der Geburt im Jahr 1970 für Frauen 74 Jahre und für Männer 67 Jahre. Seither ist sie kontinuierlich gestiegen: Die Lebenserwartung bei der Geburt beträgt nun 77 Jahre für Männer und 82 Jahre für Frauen.

Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland

Betrachtet man den Entwicklungsverlauf der Lebenserwartung seit 1871 (vgl. Abbildung 3), so wird allerdings deutlich, dass das Potenzial für drastische Erhöhungen der Lebenserwartung weitgehend ausgeschöpft ist. Die Steigerungsraten flachen zunehmend ab, so dass die Stabilisierung des Bevölkerungsstandes durch weitere Überalterung an ihre natürlichen Grenzen stößt.

Wanderungen
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Der Zustrom aus dem Ausland ist jedoch keine kontinuierliche Größe, sondern Schwankungen unterworfen.

Zu- und Fortzüge ausländischer Staatsbürger

In den 1960er und 1970er Jahren erfolgte die Zuwanderung überwiegend aufgrund der Anwerbung von Arbeitsmigranten, sogenannten Gastarbeitern. Den ersten Höhepunkt der Gastarbeiteranwerbung erreichte Deutschland im Jahr 1970 mit fast einer Million Zuzügen. Der Anwerbestopp aus dem Jahr 1973 beendete diese Phase. Erneut waren dann zu Beginn der 1990er hohe positive Außenwanderungssalden zu beobachten. Die hohen Zuzugszahlen resultierten vor allem aus dem erhöhten Zuzug von (Spät-)Aussiedlern, der bis 1992 gestiegenen Zahl von Asylsuchenden und Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien, sowie der zeitlich begrenzten Arbeitsmigration aus Nicht-EU-Staaten (insbesondere Werkvertrags- und Saisonarbeitnehmer). Ab Mitte der Neunziger Jahre kam es zu einem rapiden Rückgang der Zuzüge aus dem Ausland. Folgt man dem Trend der letzten Jahre, ist davon auszugehen, dass sich das Migrationsgeschehen auch aufgrund des Zuwanderungsgesetzes von 2005 auf einem niedrigem Level stabilisiert. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass trotz der insgesamt niedrigen Nettozuwanderung der Integrationsbedarf weit höher anzusiedeln ist, da seit vielen Jahren jährlich über eine halbe Million ausländische Staatsbürger in Deutschland Fuß fassen möchten.

Neben der Außenwanderung, der Wanderung über die Staatsgrenzen hinweg, beeinflusst auch die Binnenwanderung innerhalb eines Landes die Bevölkerungsentwicklung erheblich. Ausmaß und Richtung von Binnenwanderungen variieren dabei regional. So sind in Deutschland die neuen Bundesländer tendenziell noch immer Auswanderungsgebiete mit einem negativen Wanderungssaldo, während die alten Bundesländer, mit Ausnahme von Bremen, dem Saarland und an der schlechtesten Position Niedersachsen, eher Wanderungsgewinne aufweisen. Hierbei verzeichnen die wirtschaftlich stärksten Bundesländer auch die höchsten Wanderungszuwächse. Spitzenreiter vor Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ist Bayern mit einem positiven Binnenwanderungssaldo von im Schnitt rund 40.000 Personen pro Jahr zwischen 1991 und 2006.

Betrachtet man Bayern genauer, so wird der Sterbeüberschuss derzeit zwar noch durch Zuwanderung (aus dem Ausland und aus anderen Bundesländern) ausgeglichen, allerdings ist seit 2001 ein rückläufiger Zuwanderungstrend erkennbar. 2009 verlagerten nur noch 14.049 Menschen ihren Wohnsitz nach Bayern – ein Rückgang um über 90 Prozent im Vergleich zu 2001! Zudem könnte die demografische Überalterung auch bei hohen Zuwanderungswerten nicht aufgehalten werden, so dass ein mittelfristiges Schrumpfen der Einwohnerzahl wahrscheinlich unausweichlich ist.




Aktuelle Prognosemodelle: Bevölkerungsvorausberechnung Statistisches Bundesamt

Ein sehr langfristiges Prognosemodell stellt die 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes dar. Die Ende 2009 erschienene Studie prognostiziert die Bevölkerungsentwicklung für Deutschland bis 2060. Das Modell errechnet in zwölf verschiedenen Varianten den Bevölkerungsstand und die Bevölkerungsstruktur für die kommenden vier Jahrzehnte. Der Variante zur unteren Grenze der „mittleren“ Bevölkerung (Variante 1-W1) liegen folgende Annahmen zugrunde: eine annähernd konstante zusammengefasste Geburtenziffer von 1,4 Kinder je Frau, eine Zunahme der Lebenserwartung bei Jungen um etwa acht und bei Mädchen um rund sieben Jahre bis 2060 und ein Anstieg des jährlichen Außenwanderungssaldos für Deutschland bis zum Jahr 2014 auf 100.000 Personen und anschließende Konstanz bis zum Jahr 2060. Diese Variante stützt sich auf gut nachvollziehbare Annahmen und wird meist auch vom Statistischen Bundesamt in seinen Pressemitteilungen zitiert.


Bevölkerungsentwicklung bis 2060 nach 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung

Besonders auffällig ist, dass der Osten Deutschlands bis zum Jahr 2060 in viel stärkerem Maße vom Rückgang und der Alterung der Bevölkerung betroffen sein wird als der Westen: In den neuen Bundesländern (ohne Berlin) werden 2060 nach Variante 1-W1 rund 37 Prozent weniger Menschen als im Jahr 2008 leben und der Altenquotient wird dabei auf 74 65-Jährige und Ältere je 100 Personen im erwerbsfähigen Alter (20 bis unter 65 Jahre) steigen. Besonders schnell wird diese Entwicklung dabei in den kommenden zwei Jahrzehnten voranschreiten. Bereits 2030 wird der Altenquotient von aktuell 37 auf 68 je 100 Erwerbsfähigen angestiegen sein. Im Westen wird die Bevölkerung bis 2060 um knapp 19 Prozent schrumpfen und der Altenquotient wird dabei auf 66 Ältere je 100 Erwerbsfähige ansteigen.

Diese insgesamt rapide Alterung wirkt sich nicht nur in der schnell ansteigenden Zahl der Älteren aus, sondern auch im Rückgang des Erwerbspersonenpotentials. Die Zahl der Menschen im Erwerbsalter (20 bis unter 65 Jahren) wird im Westen von 37,9 Millionen auf 33,2 Millionen im Jahr 2030 und auf 26,0 Millionen im Jahr 2060 zurückgehen. Im Osten schrumpft diese Zahl gar von 8,0 Millionen auf 5,6 Millionen bis 2030 und 4,0 Millionen bis 2060.

Die zweite Variante (1-W2) unterscheidet sich von der ersten nur durch die Annahme eines höheren Außenwanderungssaldos von 200.000 Personen jährlich ab 2020. Sie entspricht der oberen Grenze der ‚mittleren’ Bevölkerung der Berechnung für Deutschland. Zusammen markieren die beiden Varianten die Grenzen eines Korridors, in dem sich die Veränderungen bei Fortsetzung der aktuellen demografischen Entwicklung vollziehen dürften.